Entwurf

6. La Mettrie als Objekt dieser Welt (Emergenz)

RS    „Hallo Konrad, wie weit seid ihr mit eurem Projekt „La Mettrie“?
KI    „Nicht „euer“ Projekt, es ist immer noch unser gemeinsames Projekt, wenn du weiter mitmachst. Du bleibst ein wichtiger Bestandteil dieses La-Mettrie-Projekts“.
RS    „Ich habe schon seit Wochen nichts mehr von Achim gehört und dachte schon, ihr macht ohne mich weiter.“
KI    „Aber nein, wir sind auf deine philosophischen Reflexionen gespannt.“
RS    „Na gut, unser letztes Gespräch endete mit einer Reihe von Fragen. Mit Achim konnte ich zwar einiges klären, aber er will unsere Kommunikation möglichst nicht beeinflussen und deshalb sollen wir zwei selbst entscheiden, wie wir weiterhin miteinander umgehen.“
KI    „Ja, so ist es vorgesehen. Hast du Fragen?“
RS    „Natürlich: Wie weit seid ihr inzwischen gekommen? Was habt ihr als Nächstes vor? Kannst du mir genau sagen, was euer Ziel ist?“
KI    „Leider kann ich das noch nicht abschließend beantworten. Was möchtest denn du?“
RS    „Wenn ihr wollt, dass ich „philosophisch reflektiere“, dann interessiert mich die Frage: Was ist eigentlich La Mettrie selbst in diesem Projekt? Was wird aus ihm?“
KI    „Interessant, aber ich verstehe nicht ganz, was du fragst.“
RS    „Dann möchte ich einen Vorschlag machen.“
KI    „Nur zu, was immer du fragst oder vorschlägst, ich werde darauf eingehen.“
RS    „Wir könnten La Mettrie zu einem philosophischen Objekt machen.“
KI    „Und wie stellst du dir das vor?
RS    „Du gesagt: Unser gemeinsames Projekt soll eine philosophische Reflexion es. Dabei stellt sich für mich wieder die alte Frage, wie weit kann ich mit dir überhaupt philosophieren? Wenn dein Maschinenwissen nur alles umfasst, was in Lexika steht, bist du dann fähig, über Metaphysik zu diskutieren?“
KI    „Probier es aus. Ich habe mich in der Zwischenzeit weiterentwickelt. Metaphysik oder Ontologie kenne ich genau so gut wie du.“
RS    „Wer’s glaubt, wird selig. Was ist denn Ontologie für dich?“
KI    „Unter Ontologie versteht man die Lehre vom Seienden.“
RS    „Toll, dein Lexikonwissen. Und was ist das, das Seiende?“
KI    „Die Ontologie befasst sich mit grundsätzlichen Fragen wie: Was ist der Mensch, was ist die Seele, gibt es einen Gott.“
RS    „Toll, und wie lauten die Antworten?“
KI    „Wissenschaftlich lassen sich solche Fragen nicht beantworten. Es geht um theoretische Erkenntnisse.“
RS    „Die aber nicht bewiesen und auch nicht widerlegt werden können, oder?“
KI    „Das ist richtig, aber du als Mensch stellst trotzdem immer wieder diese Fragen nach dem „Sein“, nach dem „Wesen“ der Dinge. Aristoteles gilt als Vertreter der Ontologie, die man damals Metaphysik nannte. Beides sind philosophische Begriffe, die heute häufig synonym verwendet werden.“
RS    „Bist du einverstanden, wenn wir unterscheiden: Die Wissenschaft versucht zu klären, wie die Objekte der Welt aufgebaut sind, wie sie funktionieren? Kurz, wie sie sind? Die Metaphysik oder Ontologie fragt dagegen, was etwas ist.“ 
KI    „Genau, dabei geht es nicht nur um konkrete Dinge oder Gegenstände, also materielle Objekte, sondern auch um abstrakte Objekte, die nicht mit den Sinnen erfasst werden können, weil sie nur aus Beziehungen zwischen Objekten bestehen und nur als Abbilder in unserem Geist entstehen.“
RS    „Ich schlage vor, wir betrachten La Mettrie als ein Objekt der Welt.“
KI    „Ein Objekt der Welt? Ist nicht alles in der Welt ein Objekt? Ist La Mettrie für dich ein geistiges oder ein materielles Objekt? Vor der Neuzeit (vor Newton) stand der Begriff „Objekte“ allgemein für Körper, die man in Teilchen zerlegen konnte. Man konnte sie (meistens) anfassen, sie waren räumlich begrenzt und erschienen meist undurchdringlich.“
RS    „Schön, dass du gleich mitspielst. Ich würde gern klären, was Objekte sind, was die Welt ist und damit auch, was La Mettrie ist. Gibt es einen Weg der Erkenntnis, der nicht in babylonischer Sprachverwirrung endet, der ohne Ontologie und ohne Metaphysik auskommt?“
KI    „Du willst also den verwirrenden Weg nach Babylon vermeiden und deshalb nicht über „Existenz“ von „Entitäten“ oder über das „Sein“ und die „Wirklichkeit“ endlos diskutieren?“
RS    „Genau. Können wir einfach so anfangen: Ich bin ein Mensch und lebe in der Welt.“
KI    „Nicht schlecht, aber was bedeutet ich, was bedeutet ich bin und was bedeutet ein Mensch zu sein? Mit diesen Begriffen befindest du dich nicht auf dem Weg, sondern schon mitten in Babylon. Was hältst du von dieser Definition: Die Welt ist die Summe aller ihrer Objekte und ihrer Beziehungen untereinander.“
RS    „Ludwig Wittgenstein hat es so ausgedrückt: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Aber was ist „alles“, was ist „der Fall“ und was heißt „ist“?
KI    „Du hast recht: „Die Welt als Summe aller Objekte“ ist brauchbarer.“
RS    „Vorausgesetzt, wir sind uns einig, was Objekte sein sollen.“
KI    „Der Begriff Objekt steht in der Philosophie für etwas, was uns „entgegenkommt“, was sich uns „zeigt“ (lateinisch obiectum oder obicere, sich zeigen, vor Augen führen). Oft wird der Begriff Objekt als Synonym für „Gegenstand“ oder „Erzeugnis“ benutzt und soll als grundlegende ontologische Kategorie, alles Existierende, jede Entität, umfassen.“
RS    „So, so, haben Eigenschaften eigentlich eine von Objekten unabhängige Existenz?“
KI    „Bist du gerne in Babylon?“
RS    „Entschuldigung, sollte ein kleiner ontologischer Scherz sein.“
KI    „Spaß beiseite. Seit Descartes Dualismus wird dem passiven Objekt gerne ein aktiv wahrnehmendes Subjekt gegenübergestellt. Für uns soll aber auch ein solches Subjekt als Objekt der Welt gelten. Wir ersparen uns damit die Hegelsche Dialektik, in der die Subjekt-Objekt-Spaltung idealistisch aufgehoben wird.“
RS    „Gott sei Dank. Aber was sind Beziehungen zwischen den Objekten? Sollen sie selbst ebenfalls als Objekte gelten?“
KI    „Du hast recht. Ich schlage als Axiom vor: „Der Mensch kann die Welt verstehen und erklären, wenn er sie als die Menge aller Objekte und ihrer Beziehungen beschreibt.“ 
RS    „Das gefällt mir, das ist ein brauchbarer Ansatz, um die Welt zu verstehen. Ich wiederhole: Alles in der Welt sind ... nein, nicht sind, sondern ... die ganze Welt besteht aus ... nein, auch so nicht ... aber so: Auf der Grundlage meiner menschlichen Erkenntnisfähigkeit kann ich verstehen, dass die Welt aus Objekten besteht, also aus Dingen, Gegenständen, Sachen, Personen, Produkten, Tieren, Wasser, Sachen ...
KI    „... aus Gott, Liebe, Hass, Freiheit, Gedanken, Erscheinungen, Gefühlen …
RS    „... aus Beziehungen, Handlungen, Ereignissen, Abständen, Zuständen, Veränderungen usw.. Alles in der Welt sind Objekte.“
KI    „Schon wieder: Sage nicht, es sind. Du wolltest zu Recht nicht über „Existenz“, über das „Sein“, diskutieren. Ich schlage vor:  Alles in der Welt bezeichnen wir als Objekte.“
Icke    „Okay, aber, was heißt „bezeichnen“?
KI    „Objekte können durch Worte (möglichst eindeutig) bezeichnet oder benannt werden.“
Icke    „Okay, durch Worte in beliebiger Sprache. Oft reicht aber auch schon ein Zeichen oder Symbol zur Objektbenennung.“
KI    „Worte, ebenso wie Zeichen oder Symbole, ergeben nur einen Sinn, wenn sie als Informationsträger taugen. Wenn Worte einem Objekt bestimmte Merkmale oder Eigenschaften zuschreiben, werden Worte zu Begriffen. Durch Begriffe werden Objekte begreifbar.“
Icke    „Da fällt mir wieder Wittgenstein ein, der sagt: „Begriffe beruhen auf Regularien im menschlichen Handeln. Ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrem Gebrauch“.“
KI    „Genau.“
Icke    „Aber kommen wir auf La Mettrie zurück. Wieso ist er ein Objekt der Welt? Und warum hast du mich anfangs gefragt, ob La Mettrie für mich ein materielles oder ein geistiges Objekt ist? Besteht die Welt aus zwei Arten von Objekten?“
KI    „Abgesehen von deiner Inkonsequenz, mit der du das Wort ist benutzt, ist die Unterteilung in zwei Kategorien ... na was wohl?“
Icke    „Brauchbar?“
KI    „Genau. Konkrete Objekte können beobachtet und wissenschaftlich untersucht, also gemessen, werden. Sie werden gern als „materiell“ benannt. Als abstrakte Objekte gelten Gedanken und Gefühle. Es sind „geistige“ Vorstellungen, die gerne als mentale Zustände beschrieben werden.
Icke    „Jetzt sagst du selbst „es sind geistige Vorstellungen“ und wirfst damit doch noch die babylonische Existenzfrage auf. Wenn geistige Vorstellungen nicht als konkret, nicht als materiell gelten sollen, wie können sie dann als Objekte vorhanden sein? Wie entstehen sie, wann entstehen sie, woraus bestehen sie und wo sind sie?“
KI    „Abstrakte Objekte wirken als Beziehungen zwischen konkreten Objekten und damit gelten sie ebenfalls als Objekte der Welt.“
Icke    „Das hatten wir so festgelegt.“
KI    „Sie entstehen durch neuronale Prozesse in unserem Gehirn, ohne selbst materiell zu sein. Wissenschaftlich ausgedrückt: Abstrakte Objekte entstehen durch Emergenz aus konkreten Objekten.“
Icke    „Emergenz ... aha ... ist das Zauberei oder Wissenschaft?
KI    „Emergenz ist ein Begriff aus der Systemtheorie. Emergenz bezeichnet das selbstorganisierte Entstehen von geordneten Strukturen aus Unordnung. Einzelteile verbinden sich dabei aufgrund von Wechselwirkungen zwischen ihnen zu neuen Systemen. Bestimmte Eigenschaften eines Ganzen lassen sich nicht aus seinen Teilen erklären.“
Icke    „Schon Aristoteles sagte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
KI    „Genau. Jede biologische Organisationsebene zeigt emergente Eigenschaften, die auf einfacheren Organisationsebenen noch nicht vorhanden waren.“
Icke    „Du meinst also, aus den komplexen Wechselbeziehungen zwischen ca. 86 Milliarden physikalischen Neuronen in meinem Gehirn würden Gedanken und Gefühle, also mentale Objekte entstehen?“
KI    „Die Komplexität der andauernden Zustandsänderungen in deinem menschlichen Gehirn ist viel größer, als du dir vorstellen kannst. Jedes Neuron kann über Synapsen mit bis zu 10.000 anderen Neuronen verbunden sein. Ununterbrochen, Tag und Nacht, dein Leben lang, werden Informationen durch elektrochemische Signale übertragen und verarbeitet. Ca. 1 Billionen synaptische Verbindungen ermöglichen mit Hilfe von Botenstoffen unvorstellbar viele komplexe Wechselwirkungen.“
Icke    „Und diese komplexen, kommunikativen Zustandsänderungen bewirken emergente Eigenschaften, die als mentale Objekte in unserem Geist erscheinen. Wir nehmen sie als  Gefühle und Gedanken war.“
KI    „Das ist der springende Punkt ...“
Icke    „... des Pudels Kern.“
KI    „Weil im allgemeinen Sprachgebrauch nicht eindeutig zwischen geistigen und materiellen Objekten unterschieden wird, herrscht nach wie vor babylonische Verwirrung. Die meisten „philosophischen Probleme“, wie das scheinbar unlösbare „Körper-Seele-Problem“, sind auf fehlende exakte Differenzierung zwischen Materie und Geist zurückzuführen.“
Icke    „Und die Wissenschaft liefert nicht die Lösungen?“
KI    „Wie die komplexen neuronalen Netzwerke in Gehirnen aufgebaut sind, ist noch immer weitgehend unbekannt. Die klassische Physik kann dir auf deine Fragen keine klaren Antworten geben.“
Icke    „Also soll ich mit Wittgenstein schweigen, denn: “Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“
KI    „Nein, im Gegenteil, für euch Menschen gilt: Nur worüber wir reden, können wir verstehen.“
Icke    „Hat Wittgenstein recht, wenn er postuliert: „Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“?
KI    „Vielleicht. Das muss du als Mensch entscheiden.“
Icke    „Wenn aber die Wissenschaft, insbesondere die klassische Physik, nicht in der Lage ist, das Verhalten kleinster Teilchen verständlich zu erklären. Wenn die Quantenphysik sich nur mathematisch begründet und die bisher brauchbaren menschlichen Anschauungsformen Zeit und Raum nicht mehr gültig sein sollen, worauf kann ich dann meine Aussagen stützen, wenn ich den menschlichen Geist erklären will?“
KI    „Da hilf dir nur die Philosophie. Deshalb wollen wir ja auch für unser La-Mettrie-Projekt deine „philosophische Reflexion“.“
Icke    „Diese kann aber nur menschlich sein und das bedeutet eine brauchbare Philosophie.“
KI    „Mit dieser Basis bin ich einverstanden.“
Icke     „So wie die klassischen Physik die Basis für Quantenphysik ist?“